Freitag, 13. Februar 2015

Plattencheck Februar 2015 (1)

Hugo Montenegro / The Man From U.N.C.L.E., RCA, 1965
Der Titel führt eigentlich in die Irre, denn Hugo Montenegro hat die Musik aus dieser Spion-Serie der 60er (mit Robert Vaughan und David McCallum in den Hauptrollen) "nur" arrangiert; allerdings mit ordentlich viel Pep. Die Kompositionen stammen von Giganten wie Lalo Schifrin, Jerry Goldsmith, Morton Stevens (der auch die hervorragende Musik zu "Hawaii Five-O" geschrieben hat) und Walter Scharf, alle haben jeweils drei Tracks beigesteuert. Kein Titel ist gigantisch, aber alle grooven gut und die Bandbreite der Stile ist beeindruckend: Rumba, Bossa Nova, lässige Lounge-Klänge, schrammelige Surfer-Sounds, Big-Band-Bläser und Spy Jazz. Bondesques trifft auf Balladiges und es lässt sich genauso gut zu diesen (leider mit 27 Minuten etwas kurz geratenen) Grooves ein Cocktail schlürfen wie die Hüfte kreisen lassen. Ein sehr stilvoller Soundtrack.


Barbara Blake & The Uniques, Same, 20th Century, 1975
Eine Northern-Soul-Diva, die zusammen mit ihrer Schwester Gwen Livsey und mit Doris Lindsey dieses Chicagoer Vokaltrio gründete und u.a. die Single "There It Goes Again" (Arden, 1970) veröffentlichte. Auf diesem Album singt Barbara Blake allerdings mit anonymen Backgroundsängern, die Uniques gab es nur noch im Bandnamen. Trotzdem enthält dieses Album außer ein paar etwas langweiligen, zu vernachlässigenden Balladen einige hörenswerte Soul-Perlen: da wäre der Gute-Laune-Garant "Superman" inklusive ausgefeiltem Streicher- und Bläserarrangement; der treibende Funk-Track "Everlasting Thrill" mit Wah-Wah-Gitarre und knackigem Bläsersatz; der gleich am Anfang mit einem Drumbreak aufwartende Song "Let Me Down Easy" und der ebenfalls einfallsreich arrangierte, energetische Liebesbeweis "I (Who Have Nothing)". Soulful.



Michel Legrand, A Matter Of Innocence, Decca, 1967
Tja, was soll ich sagen, ich liebe die Soundtracks von Michel Legrand, dem Meister melancholischer Melodien und sehnsüchtigen Streicherstreichlern. Letztere gibt es auch auf diesem (wie man bereits dem Cover ansehen kann) auf beste Weise kitschigen Soundtrack. Das geht schon beim von Matt Monro (dessen Samtstimme schon John Barrys "Born Free" und den Bond-Song "From Russia With Love" zu Klassikern gemacht hat) gesungenen Titelsong "Pretty Polly" los. Natürlich sorgt auch Legrands herrliches Thema in den verschiedensten Varianten für Schnulz-Alarm, aber darauf stehen wir ja, als bekennende Romantiker: "A Matter of Innocence" und "Singapore Swing". Das wirklich Überraschende aber ist: Legrand beweist auch auf diesem Soundtrack, dass er richtig funky sein kann: "Goodbye Mr. Critch" sorgt mit seinen Gitarren-Licks und dem coolen Bläsersound für Nackenmuskulatur-belastende Kopfnick-Bewegungen. Ganz schön cool, Monsieur Legrand.


Billy Paul, War Of The Gods, Philadelphia Int., 1973
Ein Cover, das ein bisschen an den Surrealisten Salvador Dali erinnert oder an Mati Klarwein, der u.a. das wegweisende Miles Davis-Album "Bitches Brew" mit einem unvergesslichen Albumcover versehen hat; auch dieses Cover springt sofort ins Auge und bleibt in Erinnerung. Entworfen hat es der Illustrator Roger Hane, der auch Buchcover für die "Chroniken von Narnia"-Reihe oder für den spirituell angehauchten Kultautor Carlos Castaneda gemalt und Plattencover für Cream und eben Billy Paul gestaltet hat (auch für dessen LP "Going East") und der tragischerweise mit 36 im Central Park in New York brutal überfallen wurde und an den Folgen des Überfalls starb. Dieses Cover war eine seiner letzten Arbeiten. Ähnlich wie Marvin Gaye bei "What's Going On" geht es Billy Paul hier um das große Ganze: um Religion, Philosophie und Spiritualität. Kernstück des Albums ist das geniale zehnminütige Titelstück: "War Of The Gods" baut sich langsam auf, beginnt spacig-jazzig und steigert sich dann zum energiegeladenen Club-Groover; "The Whole Town's Talking" ist ein wunderbarer Philly-Soul-Track und auch die Stücke "I Was Married" und "I See The Light" zeigen das Produzenten-Duo Gamble & Huff in Hochform. Eine Platte, die innen hält, was sie außen verspricht.





Freitag, 30. Januar 2015

Plattencheck Januar 2015

Woody Herman / The Raven Speaks, Fantasy, 1972
Die beiden Alben, die Saxofonist und Big-Band-Leader Woody Herman Ende der 60er mit Arrangeur Richard Evans auf Cadet Records veröffentlicht hat, gehören mittlerweile zum Funk-Big-Band-Must Have. Dass  aber auch dieses ein paar Jahre später aufgenommene Album ein paar echte Groove-Perlen enthält, war dann doch eine willkommene Überraschung. Hier trifft komplex arrangierter Big Band Jazz auf ein paar schöne Balladen (Michel Legrand's "Summer of 42" oder "Alone Again, Naturally"). Das ist nett, aber nicht umwerfend. Aber: Die Platte fasziniert Funk-Freunde vor allem durch zwei Tracks: Herbie Hancocks "Fat Mama" ist hier noch ein bisschen fetter und funkiger als im Original, dank bombastischer Bläsersätze und einem sehr zackigen Beat. Und dass Keith Jarretts "The Raven Speaks" dank eines gigantischen Big-Band-Arrangements derartig zum Kopfnicken animiert, hätte man vorher auch nicht zu hoffen gewagt. 



Tower of Power / Ain't Nothin' Stoppin' Us Now, Columbia, 1976
Das letzte gute Album der zehnköpfigen Funk-Band aus Oakland. Auch wenn die Platte nicht an die Meisterwerke "East Bay Grease" (1970) oder "In The Slot" (1975) heranreicht, so gibt es doch immerhin einen Hingucker und zwei Hinhörer. Wie so oft bei Alben von Tower of Power hat auch in diesem Fall Bruce Steinberg das atmosphärisch-coole Coverfoto geschossen. Und sowohl der Titelsong des Albums hat Ohrwurmpotenzial als auch der Gute-Laune-Garant "You Ought To Be Havin' Fun", dessen Spaßaufforderung man dank der eingängigen Melodie und dem souligen Bläserarrangement einfach erfüllen muss. Zwar kein absolutes Muss, aber ein nettes Album, das TOP-Fans zur Vervollständigung der Sammlung haben sollten, denn bei den darauffolgenden Alben spielen sich die Jungs leider zu sehr ins Disco-Delirium.



Monk Montgomery / It's Never Too Late, Chisa, 1969
Drei Alben hat der Bass spielende Bruder des Gitarristen Wes Montgomery aufgenommen, dieses ist das erste, das er höchstwahrscheinlich mit den Jazz Crusaders als Band eingespielt hat. Die Liner Notes geben zwar über die Besetzung der Band keinen Aufschluss, dafür aber über die Arrangeure - und das sind eben die Crusaders-Mitglieder Joe Sample, Wilton Felder und Wayne Henderson, der das Album nicht nur größtenteils arrangiert, sondern auch produziert hat. Die Mischung der zehn Songs reicht von Blues über Straight-Ahead-Jazz bis zu funky Jazz. Die Arrangements sind manchmal etwas eigenartig, in einigen Fällen aber auch sehr faszinierend. Es gibt zwar keinen Song, der mich restlos begeistert, aber zumindest bei drei Tracks trifft ein knackiger Beat auf coole Bläsersätze. Anspieltipps sind: "Can We Talk To You", "A Place In The Sun" und "It's Never Too Late". 



Michel Legrand / The Happy Ending (Soundtrack), United Artists, 1969
Ein Jahr nachdem Michel Legrand zusammen mit dem Songschreiber-Ehepaar Alan und Marilyn Bergman für den Song "The Windmills Of Your Mind" ("The Thomas Crown Affair") einen Oscar gewonnen hatte, tat sich das Erfolgstrio für die Musik zu diesem Richard Brooks-Film wieder zusammen. Das Ergebnis: ein weiterer Song, der Soundtrackgeschichte geschrieben hat, ein weiterer Melodie-Meilenstein in Legrands legendärer Karriere: "What Are You Doing The Rest Of Your Life?", in zwei gesungenen und in zwei instrumentalen Versionen auf der LP zu finden. Allein deswegen lohnt sich die Anschaffung dieses mittlerweile auch auf CD wiederveröffentlichten Soundtracks. Und wer auf sanfte Streichel-Streicher steht wird - wie immer bei Legrand - auch hier genug Ohrenschmelz verabreicht bekommen.



Michel Legrand / The Windmills Of Your MInd (Compilation), United Artists, 1969
Sieht aus wie eine x-beliebige Michel-Legrand-Compilation, die mit dem Academy Award-Sticker Eindruck schinden will, ist aber sehr viel mehr als das. Klar, der Oscargewinner "The Windmills Of Your Mind" läutet gleich die erste Seite ein und auch die anderen beiden stärksten Stücke vom "Thomas Crown Affair"-Soundtrack sind zu hören ("A Man's Castle" und "His Eyes, Her Eyes"); das eigentliche Highlight aber bilden drei Tracks aus dem Film "La Piscine" - "Der Swimming Pool" heißt der sehr sehenswerte Film mit Alain Delon und Romy Schneider in der deutschen Fassung. Und diese drei Stücke sind auf Vinyl nur sehr schwer oder eben nur auf dieser LP zu bekommen - und da alle drei Legrand auf dem Höhepunkt seines Soundtrack-Schaffens zeigen, ist diese Compilation sehr zu empfehlen. "La Piscine", "Ask Yourself Why", gesungen von Sally Stevens, und "Souvenirs" sind allesamt großartig. Dazu gibt's noch drei Kompositionen aus "The Young Girls of Rochefort" und das "Jazz Theme" aus "Play Dirty". Lässiger Legrand-Sound vom Allerfeinsten.

Donnerstag, 17. April 2014

Vinyl Lovers (3): Tobias Kirmayer: Labelbetreiber, DJ, Radiohost & Partyorganisator

„Hätte ein Tag 30 Stunden wäre es auch nicht genug“, sagt Tobias Kirmayer – und wenn man sich anschaut, wie der Mittdreißiger aus München mit einer bedingungslosen Begeisterung in Sachen „Rare Grooves“ seinen Tag ausfüllt, kann man das sehr gut nachvollziehen. Denn Kirmayers Terminplan scheint nur selten freie Tage zu enthalten. Weit über 100 Platten hat Kirmayer auf seinem Label Tramp Records veröffentlicht. „Was sich bei Tramp durchzieht als roter Faden, auch wenn die Musikstile unterschiedlich sind, ist meine persönliche Liebe zu dem Sound und der Ästhetik der 60er-, 70er-Jahre. Dieser warme, analoge Sound ist mir sehr wichtig. Aber mein Spektrum ist schon etwas weiter, es kann Soul, Funk sein, ich mag auch mal Afro-Beat, Jazz, Latin, da schlägt einfach mein Herz für die Produktionsweise. Und ich fänd´s furchtbar schade, wenn das verloren geht. Denn der Sound, die Ästhetik von Soul und Funk und Jazz der Aufnahmen in den 60ern, 70ern ist für mich das Optimum, was man erreichen kann“, hat Kirmayer mal in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur gesagt.

Tatsächlich ist er einer der ganz großen (Wieder)-Entdecker längst verschollener Singles. Einer der findigsten Cratedigger Deutschlands. Das hat sich inzwischen natürlich längst bis in die USA herumgesprochen. Der hervorragend sortierte Chicagoer Plattenladen „Dusty Groove“ hat selbstverständlich viele der Tramp-Releases im Programm und preist diese mit hymnischen (sehr gerechtfertigten Worten) an: „Contemporary grooves, but all pretty darn funky – thanks to an excellent track selection by Tobias Kirmayer – the same guy who brought us the excellents Movements collections!“ heißt es da oder auch: „Compiler Tobias Kirmayer really knows his stuff – after years of recording and reissuing great music on his own Tramp label – and if anything, his time in the funky underground has only given him a sharper ear for rare singles and lost soulful nuggets – as you'll hear in this wonderful compilation!”.

Ich freue mich riesig, dass Tobias - trotz intensiver Labelarbeit - Zeit für den Vinyl Lovers-Fragebogen gefunden hat.

Wann und wie bist du plattensüchtig geworden?
An erster Stelle war da mein Bruder, der fünf Jahre älter ist und mich recht früh (ich war damals so um die 12) mit Funk und Hip Hop infiziert hat. Wir sind jahrelang zusammen auf jeden Plattenflohmarkt in der Umgebung gegangen und haben regelmäßig die Plattenläden in München durchstöbert. Mitte der 90er gab‘s da noch mehr als heute und für damalige Verhältnisse hat man da auch schöne Sachen finden können. (Internet gab‘s damals noch nicht...) Neben meinem Bruder gab es speziell zwei Radioshows, die mich sehr beeinflusst haben. Zum einen “Black Friday” auf BR3 mit Fritz Egner (ja, DER Fritz Egner) (der jetzt übrigens das sehr lesenswerte Buch "Mein Leben zwischen Rhythm & Blues" geschrieben hat, Anm.der Redaktion) und das “Silly Solid Swound System” auf Ö3 (Österreich 3) mit DJ Makossa und Sugar B. Fritz Egner spielte zum Großteil klassischen Funk und Soul, ab und an aber streute er sogenannte Rare Grooves ein. Auf genau die bin ich besonders abgefahren. Makossa war zu dem Zeitpunkt bereits beim Rare Groove angekommen und spielte viele unbekannte Sachen. Weil es mir aber nicht gereicht hat die Musik nur zu hören, hab ich angefangen Platten zu sammeln.

Was war deine erste Platte?
Die hatte nichts mit Funk zu tun, das war das Album “But Seriously” von  Phil Collins.

Wie viele Platten hast du insgesamt?
Ehrlich gesagt keine Ahnung, ein paar Tausend sind es wohl, aber wie viele genau weiß ich nicht.

Was ist deine rarste/teuerste Platte? Und welche Platte bedeutet dir am Meisten?
Das kann ich schwer sagen, weil man bei den richtig seltenen Platten erst im Laufe der Zeit einschätzen kann wie selten sie sind. Ich habe ein paar Acetate (Anpressungen), die aber nie veröffentlicht worden sind. Von diesen gibt es in der Regel ein oder zwei Stück. Die sollten das seltenste in meiner Sammlung sein.

Deine Top 10 aus deiner Plattensammlung: 
Wechselt ständig und daher nur eine Momentaufnahme:
Charles Simmons – Save The World (7“)

Soul Shakers – You Ain't My Brother (7“)

James Brown – Let A Man Come In And Do The Popcorn (LP)

Wayne Carter – Mad Mouth Woman (7“)

Roy Porter Sound Machine - Jessica (LP)

Anita Moore & TSU Jazz Ensemble - Compared To What (7“)

Iris Bell Trio - Something Else (7“)

Grant Green - Live at the Lighthouse (LP)

Dee Felice Trio – In Heat (LP)

Matata – Independence (LP)


Beschreib doch mal deine Sammlung in 3-5 Worten:
Verdammt harte Arbeit, aber wunderbar.

Wo hast du schon aufgelegt / wo bist du regelmäßig zu hören?

In einigen Ländern in Europa und Australien. Um mich regelmäßig zu hören, muss man allerdings meine Platten kaufen. Unseren Club-Abend haben mein Kollege und ich letztes Jahr aufgehört. Der Sound ist in München und auch in vielen anderen Städten nicht mehr gefragt. Es lebe der kommerzielle Einheitsbrei!

Welcher Club/welche Location war für dich am Beeindruckendsten?
Die Rebeat Funk Night in Freiburg. Dort ist es einfach nur Wahnsinn.

Wo gehst du auf Platten-Suche (Internet/bestimmte Läden/Flohmarkt etc.)?
Eigentlich nur noch Ebay. Die Sachen, die wir Rare Grooves Nerds suchen, findet man nicht einfach mal so, wenn man in einen Plattenladen geht.

Hast du eine Lieblings-Internetseite zum Thema Musik?
Nicht wirklich.

Was war dein skurrilstes/schrägstes Plattenerlebnis (beim Plattenkaufen/-auflegen)?
Bei fast jedem Auflegen passiert irgendwas Schräges, wo man denkt, das musst du dir jetzt merken, unglaublich. Und dann vergisst man's doch wieder. Schmunzeln muss ich immer wieder, wenn ein Gast ankommt und meint „Hey, spiel doch mal was, das man kennt“. Auf den Gedanken, dass man mich genau deswegen bucht, kommen viele nicht. Ich nehme es Ihnen auch nicht übel.

Mit wem würdest Du gerne mal Abendessen gehen (lebende oder bereits gestorbene Personen)? Und warum?
Da gibt’s zu viele. Ich finde es generell superinteressant mit Leuten zu sprechen, die in den 1960er Jahren aktiv waren. Sei es als Produzent oder Musiker. Für mich waren die 60er Jahre musikalisch wegweisend und es ist einfach zu schön, alte Geschichten über die Art und Weise wie komponiert, arrangiert und aufgenommen wurde, zu hören. Ich bin superglücklich, einige getroffen zu haben, darunter Jimmy Preacher Ellis, Henry Boatwright (von den Soul Brothers Inc.), und Don Gardner.

Freitag, 15. November 2013

A Tribe Called Quest Midnight Marauders 20th Anniversary Mixtape



Sie ist eine der einflussreichsten und einfallsreichsten Hip-Hop-Bands aller Zeiten: A Tribe Called Quest. Die Rapper Q-Tip, Phife Dawg und Jarobi White und ihr DJ und Produzent Ali Shaheed Muhammad. Die Band wurde 1985 gegründet und hat 1990 ihr bahnbrechendes und wegweisendes erstes Album „People’s Instinctive Travels and the Paths of Rhythm“ veröffentlicht. Was dann folgte, ist Hip-Hop-Historie. Denn in nur 8 Jahren haben die New Yorker 5 Gold- und Platinalben herausgebracht, allesamt längst Klassiker und vom ersten Beat bis zum letzten Reim innovativ und inspirierend. 


  Wenn man unter diesen Hochkarätern einen herauspicken müsste, der vielleicht noch ein kleines bisschen großartiger, gigantischer und geistvoller als die anderen ist, dann würde die Wahl wahrscheinlich auf ihr drittes Album „Midnight Marauders“ fallen, das in diesen Tagen sein 20. Jubiläum feiert. Am 09. November 1993 erblickte dieser Jazz-Rap-Meilenstein das grelle Glitzerlicht der Hip-Hop-Welt und hinterließ in punkto Reimkunst und Sampleauswahl Maßstäbe. Anlässlich des Jubiläums hat DJ Chris Read (Wax Poetics) einen herrlichen Album-Mix unter Berücksichtigung der dazugehörigen Samplequellen zusammengestellt – toll gemixt und für alle Samplesucher gefundenes (wenn auch inzwischen wahrscheinlich längst bekanntes) Funkfood-Fressen, in diesem Fall wohl eher Jazzfood.

Wer nicht nur alle seine ATCQ-Alben wieder durchhören, sondern vielleicht auch noch etwas bisher Unbekanntes über seine Lieblingsband herausfinden möchte, dem sei an dieser Stelle ausdrücklich der sehr interessante Dokumentarfilm „Beats, Rhymes & Life: The Travels Of A Tribe Called Quest“ empfohlen. Der Film thematisiert die Trennung dieser Wahnsinns-Band 1998 und die zehn Jahre später erfolgte Wiedervereinigung. Regisseur (sonst eher als Schauspieler bekannt) Michael Rapaport begleitet die Jungs auf Tour und fängt Momente ein, die zeigen, wie schmal der Grat ihrer Gemeinsamkeiten geworden ist und was in jenen Momenten für die langjährigen Freunde und Band-Kollegen auf dem Spiel steht. Wirklich sehr spannend, sehr berührend und sehr sehens – und hörenswert.

Montag, 30. September 2013

Charles Bradley: Soul of America


Es ist eine dieser Lebensgeschichten, die man kaum glauben kann. Ein Musik-Märchen, das sich Hollywood-Drehbuchautoren nicht besser, dramatischer, spannender hätten ausdenken können. Wer "Searching for Sugarman" mochte, wird auch "Soul of America" lieben. Denn die Lebensgeschichte von Charles Bradley ist genauso emotional und unfassbar.

Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte
Quelle: imdb.com

Von der Hochhaussiedlung in Brooklyn in die Top 50 Alben des "Rolling Stone" 2011. Nach 42 Jahren, in denen Bradley der Durchbruch als Sänger verwehrt bleibt, veröffentlicht er mit 62 Jahren sein Debütalbum - und ist seitdem einer der angesehensten Soulsänger unserer Zeit. "Charles Bradley - Soul of America" erzählt von der Entstehungsgeschichte seines Erstlingswerks "No Time For Dreaming" und von Bradleys Leben: von der Mutter verlassen, führt er schon als Jugendlicher ein Dasein in Armut. Mit 14 Jahren versucht der Junge, die kalten Winternächte in U-Bahnen zu überleben; er schrammt knapp an der Drogenabhängigkeit vorbei und macht eine Ausbildung zum Koch. Und dann beginnt die musikalische "Karriere". Da er aussieht und singt wie James Brown, tritt er fortan als "Black Velvet - James Brown Junior" auf. Bradley tingelt fast ein halbes Jahrhundert lang mit Perücke und Cape wie sein großes Vorbild durch die Clubs und Kneipen Brooklyns  - und singt die Hits des Soul Brother Nr. 1.


Charles Bradley in seinem Element
Quelle: thegridto.com
Bis er an seinem 62. Geburtstag beschließt, sich selbst neu zu erfinden. Endlich probiert er, mit eigenen Songs erfolgreich zu sein - und hat damit schließlich Erfolg. Wie Bradley sich den Schmerz und das Leid aus der Seele singt, sieht man in diesen 75 Minuten. Und selten ist ein Dokumentarfilm seinem Protagonisten so nahe gekommen - selten ist man als Zuschauer so privat, so persönlich mit dabei, selten auch hat ein Sänger so ehrlich und offen über sich, sein Leben und seine Probleme gesprochen. 


Wir begleiten Bradley, dessen Leben sich einzig und allein um seine Mutter dreht, beim Schuhe kaufen, beim Frisör, im vollgerümpelten Keller und sind auch mit dabei, wenn eine Privatlehrerin versucht, Bradleys Lese - und Schreibniveau, das mit dem eines Erstklässlers vergleichbar ist, zu verbessern. Und natürlich sehen wir den Star, der eigentlich alles andere als ein Star ist, in seinem Element auf der Bühne. Wir sehen den Schweiß und die Tränen - wir sehen einen Soulsänger, der uns wirklich einen tiefen Einblick in seine Seele gibt.

Der Film ist erst vor einem Monat in den USA auf DVD erschienen und in Deutschland bis jetzt nur als Import zu bekommen. Gestern aber lief der Film auf Servus TV - und ist momentan in der Mediathek zu sehen. Unbedingt gucken!

Freitag, 27. September 2013

Zum Vorfreuen & Nachhören (1) - Doku zu den legendären "Muscle Shoals"-Studios, 23 unveröffentlichte Songs von Donny Hathaway, Gilles Peterson legt Italo-Western-Sounds auf & eine musikalische Reise nach Bamako


"Muscle Shoals" - von Aretha Franklin über die Stones zu Alicia Keys

Am 25.10. startet "Muscle Shoals" in UK
Quelle: http://muscleshoals.co.uk
Muscle Shoals ist nicht nur ein 12.000-Einwohner-Städtchen in Alabama, sondern auch der Name eines legendären Studios. Aretha Franklins "Respect" und "Brown Sugar" von den Rolling Stone wurden hier aufgenommen, hier wurde von der Muscle Shoals Rhythm Section der Muscle Shoals Sound geprägt. Auch Wilson Pickett, Clarence Carter und die Staple Singers haben sich für legendäre Einspielungen im 3614 Jackson Highway eingefunden. 


Clarence Carter in Muscle Shoals
Quelle: http://muscleshoals.co.uk


Amerikanische Pop-, Rock- und vor allem Soulgeschichte wurde also in diesen heiligen Hallen geschrieben. Genug Stoff für eine Dokumentation, die im Januar dieses Jahres bereits auf Robert Redfords großartigem Independent-Festival, dem Sundance Filmfestival, gezeigt wurde und immerhin bald in Großbritannien, nämlich am 25. Oktober, in die Kinos kommt. Schlicht und einfach "Muscle Shoals" betitelt, berichten Musik-Größen wie Bono, Clarence Carter, Mick Jagger, Etta James, Alicia Keys, Keith Richards, Percy Sledge und Aretha Franklin von diesem legendären Ort. Hoffen wir auf einen baldigen deutschen Kinostart!




Donny Hathaway - im November erscheinen 23 bisher unveröffentlichte Songs

Seinen Namen muss man in einem Atemzug mit Soul-Helden wie Marvin Gaye oder Curtis Mayfield nennen: Donny Hathaway. Ein unfassbar talentierter Musiker, der zahlreiche Instrumente selbst einspielte, ein einfallsreicher und einfühlsamer Arrangeur und Produzent und mit einer Gänsehaut erzeugenden Stimme gesegnet. Nach nur einer Handvoll Alben und einigen hochkarätigen Singles und Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern ist der an Depressionen leidende Künstler viel zu früh mit nur 34 Jahren aus dem fünfzehnten Stock eines Hotels in New York gesprungen. Ein tragisches Ende. 

Die Donny-Hathaway-Anthology
Quelle: http://donnyhathaway.blogspot.de

Auch wer alle von Hathaway produzierten LP's und Singles besitzt, dürfte schon jetzt ein leichtes Bauchkribbeln verspüren beim Blick auf eine 4-er-CD-Box, die am 08. November erscheinen wird. Denn auf dieser umfassenden Zusammenstellung namens "Never My Love: The Anthology" finden sich nicht nur sämtliche Hits und gesuchten Singles, sondern auch 23 bisher unveröffentlichte Aufnahmen Hathaways. Dazu gibt es einen umfangreichen Essay über Hathaways Leben und Musik vom Musik-Journalisten Charles Waring sowie seltene Aufnahmen des Sängers. Kann man für aktuell faire 26 Euro vorbestellen. Young, Gifted and Black!





Gilles Peterson legt Spaghetti-Western-Perlen auf

Gilles Peterson zaubert Morricone, Bacalov & Umiliani auf den Plattenteller
Quelle: http://www.gillespetersonworldwide.com/gilles-peterson/radio/
Ach, hätte der Tag nur 48 Stunden. Dann könnte man außer zu arbeiten und zu schlafen noch ausgiebig Filme gucken, Bücher lesen und Platten hören. Und dann hätte man auch genügend Zeit, um sich alle Mixe von Gilles Peterson anzuhören. Der in Frankreich geborene Brite ist DER europäische DJ überhaupt. Mitte der 80er-Jahre hat er den Begriff des Acid Jazz geprägt, zusammen mit seinem Freund und DJ-Kollegen Eddie Piller das inzwischen legendäre Acid Jazz Label gegründet, danach das nicht minder legendäre Label Talkin' Loud ins Leben gerufen und Platten von Courtney Pinne, 4Hero, Inkognito, Soul & Folk-Gott Terry Callier und Galliano veröffentlicht. 

Gilles Peterson  - Worldwide am Start
Quelle: soundwall.it
Mittlerweile legt Peterson in Clubs auf der ganten Welt auf und schafft es tatsächlich Woche für Woche unbekannte Musik-Perlen auf die Plattenteller zu legen, in seiner samstags von 15 bis 18 Uhr auf BBC 6 ausgestrahlten Sendung. Und diese drei Stunden sind eine stets überraschende, inspirierende und herrlich abwechslungsreiche Reise durch Hip Hop, Dub, Reggae, Jazz, Broken Beat, Drum and Bass, Soul und Funk. 

Letzten Samstag zauberte Peterson einige wunderbare Spaghetti-Western-Perlen von Morricone über Bacalov bis zu Umiliani auf den Plattenteller. Bis morgen könnt/sollt/müsst ihr in die Sendung reinhören. Morgen um 15 Uhr wird's dann nicht minder interessant - Peterson hat den großartigen Jazzsänger Gregory Porter zu Gast! 



"Import Export Bamako" - Ein Feature über die Pilgerstätte der Pop-Hipster

Dass Jonathan Fischer dem Herzschlag interessanter Musik folgend schon um die halbe Welt gereist ist, konntet ihr dem letzen "Vinyl Lovers"-Artikel bereits entnehmen. Bereits im letzten Jahr war der Münchner Musikjournalist in Mali auf den Spuren einer höchst vielfältigen und fruchtbaren Club - und Musikszene unterwegs. 

Jonathan Fischer mit Rapper Amkoullel
Quelle: wdr3.de
Inzwischen sind mehrere Artikel von ihm über malische Musiker und deren Schwierigkeiten, zuerst unter der Militär- Diktatur, jetzt unter der Herrschaft der Islamisten, ungestört Songs aufnehmen und spielen zu können, erschienen. Nun gibt es ein gut 50-minütiges Hörspielfeature, das die gesamte Bandbreite der Musikkultur des gepeinigten Landes zeigt. Eine trotz der derzeitigen Lage hoffnungsvoll stimmende, mitreißende und atmosphärische Reise nach Afrika - von den Griots bis zu jungen Rappen. Unbedingt nochmal nachreisen!

Dienstag, 17. September 2013

Vinyl Lovers (2): Jonathan Fischer, Journalist, Trikont-Chefcompiler, Groove-Reisender


"In Deutschland gibt es nicht viele Musikjournalisten, die ein so tiefgründiges Fachwissen afroamerikanischer Musik haben wie Jonathan Fischer. Er spürt in den Ghettos von Los Angeles oder den Townships von Soweto neue Musiktrends auf, bevor sich diese auf ihren Siegeszug um die Welt machen". So hat die Jury des "Goldenen Prometheus" vor sieben Jahren die Nominierung des Münchners als "Printjournalist des Jahres" begründet. Den Preis hat der Musikliebhaber leider nicht bekommen, dafür aber gewinnt er seit Jahren mit seinen interessanten Texten die Aufmerksamkeit seiner Leser. Die freuen sich über Fischers punktgenaue Sprache und über spannende Reportagen aus den Musik-Hauptstädten der Welt. 

Jonathan Fischer: Boxender Journalist,
Musikliebender Maler, Raritäten-DJ
Wenn man in den letzten Jahren in den Feuilletons deutscher Tageszeitungen ausnahmsweise mal etwas über afroamerikanische Kultur im weitesten, die unterschiedlichen Spielarten "schwarzer Musik" im engeren Sinne gelesen hat, dann stand eigentlich immer ein Name darunter: Jonathan Fischer, ob nun in der "Süddeutschen Zeitung", der "FAZ" oder der "Zeit". Um einen Einblick in die lesenswertesten Musiktexte des deutschen Zeitungsmarkts zu bekommen, sei die Zusammenstellung wenigstens einiger seiner Artikel auf der Homepage des umtriebigen "Sound-Schnüfflers" unbedingt und dringend empfohlen. Die Reise geht vom Cajun über den Gospel und Blues, bis zu Soul, Funk und Rap; von New Orleans über Bamako nach Ägypten und wieder zurück nach München.

Dort legt Jonathan regelmäßig auf - einen Musikmix, wie er in Deutschland wohl seinesgleichen sucht: Soul, Reggae, Cumbia. Und als wäre das nicht schon genug für eine ausgefüllte Woche, schafft es Fischer auch noch zu malen (und zwar professionell), zu boxen und den ein oder anderen Sampler für das wunderbare Münchner Label Trikont zusammenzustellen. Auf 18 bisherige Compilations hat es der versierte Kenner der Musikmaterie inzwischen gebracht. Und diese Zusammenstellungen lohnen sowohl wegen der seltenen, gesuchten und inspirierenden Tracks als auch wegen der informativen Liner Notes. Umso mehr freu ich mich, dass Jonathan - gerade von einem weiteren Trip zurückgekehrt  - Zeit gefunden hat, uns den "Vinyl Lovers"-Fragebogen auszufüllen. Danke, Jonathan.


Wann und wie bist du plattensüchtig geworden?
War eher Musik- als Platten-süchtig, aber die LP war eben das Format der Zeit und die tollen Klappcover gaben in der Prä-Video-Ära endlos Stoff zum Fantasieren her...

Was war deine erste Platte?
Status Quo "Blue For You". Meine erste "schwarze" Platte: "American Folk And Blues Festival".

Wie viele Platten hast du insgesamt?
Circa 20 000 Vinylplatten, CDs habe ich nie gezählt.

Was ist deine rarste/teuerste Platte? Und welche Platte bedeutet dir am Meisten?
Ich bewege mich nicht auf den einschlägigen Börsen, weiß nur, dass ich mal 200 Pfund für eine Mike James Kirkland LP  gezahlt habe. Als Soulfan bedeutet mir am meisten: Lou Courtney "I'm In Need Of Love" und alles von O.V. Wright. 

Deine Top 10 aus deiner Plattensammlung
Top 10 Singles in keiner spezifischen Reihenfolge:
George Perkins And The Silverstars "Crying In The Streets"
Luther Ingram "I Can't Stop"
The Knight Bros "Sinking Low"
Sam Baker "It's All Over"
Lynn Vernado "Second Hand Love"

Beschreib doch mal deine Sammlung in 3-5 Worten:
Soul-Blues-HipHop-Latin-Afrika.

Wo hast du schon aufgelegt / wo bist du regelmäßig zu hören? 
Alle Münchner Clubs vom damaligen Babalu über Substanz bis Parkcafe. Momentan mit "Milla Tropical" ( monatlich im Milla, München, und mit "The Big Soul Bowl" zweimonatlich im Pimpernel, München. Bester Münchner Club: Substanz zu seinen Anfangstagen, als die Leute zu Blues auf den Tischen getanzt haben... Momentan: Milla.

Wo gehst du auf Platten-Suche?
Meine Platten habe ich fast sämtlich in großen Thriftstore-Koffern von meinen Trips aus Louisiana, New Orleans, Memphis, Nashville mitgebracht. Im Internet kaufe ich nichts - mir macht das Wühlen Spaß.

Was war dein skurrilstes/schrägstes Plattenerlebnis (beim Plattenkaufen/-auflegen)?
Soul im Max-Emanuel in München: Einige der Besucher zücken ihren Geldbeutel sobald ihnen eine Single besonders gut gefällt, und blättern solange die Scheine nach ("ich muss die heute nacht noch meiner Frau vorspielen"), bis ich widerwillig einschlage... / Schwarze Frau im Soul City: "Hey lass mich die Single sehen... das ist mein Bruder der da singt! Ich fasse es nicht..."

Mit wem würdest Du gerne mal essen gehen (lebende oder bereits gestorbene Personen)?