Dienstag, 30. Juli 2013

Diggin' in the Crates (1) - Ceasar Frazier - 75 (Westbound Records)

Die Jahre zwischen 1965 und 1975 sind für mich die fruchtbarste, spannendste und hörenswerteste Phase im Soul- und Funkgenre. Das meiste, was danach erschienen ist, hat einen glattpolierten (Disco)-Sound (Ausnahmen bestätigen die Regel) und gelangt zwar so manches Mal in die tanzwütigen Beine, aber nicht unbedingt in Herz und Seele. Dass aber auch bahnbrechende Platten im Jahr 1975 erschienen sind, hat das Westbound Label (das Funk-Freunden vor allem wegen einiger bemerkenswerter Funkadelic- und Ohio Players-Platten leuchtende Augen bereitet)  mit vier Veröffentlichungen bewiesen, die alle den Albumtitel "75" haben. 

Quelle: Discogs.com
Die Platten von Etta James und Houston Person sind okay und ganz nett, aber nicht weiter erwähnenswert. Das Album von Melvin Sparks bietet vier durchschnittliche und vier gute Stücke, von denen vor allem das Break-lastige "If You Want My Love" herausragt. 



Eine wirkliche Offenbarung aber ist das kleine Meisterwerk "75" von Ceasar Frazier: meine teuerste Platte, die ich für den insgesamt noch sehr fairen Preis von 35 Euro gekauft habe; bei Ebay ist vor einigen Monaten eine gut erhaltene US-Original-Pressung für 147 Dollar versteigert worden. 

Quelle: Discogs.com
Natürlich fallen uns zunächst Ceasars sensationeller Schnauzer und sein respektabler Afro ins Auge. Zum Glück hält die Platte, was das coole Cover verspricht - sechs durchweg tolle Tracks, von denen wiederum drei herausstechen und vor allem Sample-suchenden Raphörern mehrere Aha-Erlebnisse verschaffen. Denn auf diesem Album findet sich das Original des Gang-Starr-Klassikers "Ex Girl To Next Girl" (vom Album "Daily Operation") - passenderweise betitelt mit "Funk It Down"  (der Sample beginnt bei 1:05 min).

Außerdem werden Common-Connaisseure sich freuen, weil sie endlich wissen, woher der großartige Rapper aus Chicago die Bläsersätze seines Tracks "Real People" (vom Album "Be") gefunden hat - bei Ceasar Frazier und seinem Stück "Sweet Children". Und schließlich gibt es noch den langsamen Groover "Mighty Mouse", der ebenfalls unsere Kopfnicker-Aktivität ins Rollen bringt. Produziert wurde das Album von Bob Porter, die geschmeidigen Arrangements hat Horace Ott geliefert und das Schlagzeug groovt dank Bernard "Pretty" Purdie.

"75" ist ein leider völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Funk-Wunder - und wenn ihr nicht ewig warten wollt, bis euch eine einigermaßen bezahlbare US-Original LP vor die flinken Finger beim Plattenkistenwühlen kommt, es gibt das Album - zusammen mit der noch teuereren und schwerer zu bekommenden ersten LP von Cesar Frazier auf einer CD. Funk It Down.

Sonntag, 28. Juli 2013

Mo' Meta Blues: The World According to Questlove


Quelle: Theneptunes.org
Mit 42 Jahren seine Memoiren zu veröffentlichen ist ungewöhnlich. Denn wer hat in dem Alter schon genug erlebt, um ein Buch zu füllen - was dann auch noch mit interessanten Anekdoten, schlauen Gedankengängen und einer ungewöhnlichen Lebensgeschichte gefüllt ist. Im Fall von Ahmir Khalib Thompson aber erscheint dieser Schritt nachvollziehbar. Denn der Mann mit dem bekanntesten Afro der Popkultur (der sich in seinem Buch als “a peculiar-looking 6-foot-2 walking Afro" bezeichnet), ist besser bekannt als Questlove: Mastermind und Gründer der Hip-Hop-Band The Roots.  Und die sind immerhin Grammy-Gewinner und Hausband der NBC-Show "Late Night with Jimmy Fallon". 

Und ohne Questlove geht in der amerikanischen Musikszene, vor allem der schwarzen, schon seit Jahren nichts mehr. Er ist nicht nur der Schlagzeuger der Roots, er hat die großartige Seite und Musik-Community Okayplayer mitbegründet, legt regelmäßig in den angesagtesten Clubs Amerikas auf, er hat von Common bis Erykah Badu großartige Künstler produziert, er hat 2,5 Millionen Follower bei Twitter und sogar schon zwei Sneaker für Nike designt. Mehr Erfolg, mehr Credibility, mehr Stilikone geht nicht. Und dass, obwohl Questlove kein Rapper ist wie Jay-Z oder Kanye West, sondern "nur" der Schlagzeuger einer Band (von denen es im Hip-Hop-Genre wahrlich nicht mehr viele gibt). 

Quelle: Grand Central Publishing
Von daher verwundert es nicht allzu sehr, dass Questlove's Memoiren "Mo' Meta Blues", die seit gut einem Monat auf dem Markt sind, sich zu einem echten Verkaufsschlager entwickelt haben. Der Titel ist eine Anspielung auf Spike Lee's Film "Mo' Better Blues" von 1990, in dem Denzel Washington einen Jazztrompeter gespielt hat. 
Was erfahren wir nun von Questlove? Vor allem, welche Musik ihn inspiriert hat (Stevie Wonder, Curtis Mayfield, Prince, Isley Brothers, Rufus, Public Enemy und D’Angelo), dass er alte "Rolling Stone"-Magazine gesammelt hat und wann er seinen musikalischen Erweckungsmoment hatte, den Moment, in dem es Questlove zufolge BOOOM! gemacht hat: es war an einem Weihnachtsfest, der kleine Ahmir war zwei Jahre alt und im Wohnzimmer seiner Eltern lief das zweite, selbst betitelte Album von Donny Hathaway; vier Kinder-Instrumente lagen noch uneingepackt unter dem Baum: ein Xylophon, ein Keyboard, eine Gitarre und ein kleines Spielzeug-Schlagzeug - wie ferngesteuert lief er auf das Schlagzeug zu, die Initialzündung war erfolgt. 

Zusammen mit Ben Greenberg, Redakteur des "New Yorker", hat Questlove seine Memoiren geschrieben; interessante, lustige, abwechslungsreiche. "Mo' Meta Blues" ist ein Buch, nach dessen Lektüre unser Recherche-Gen geweckt ist: Musik, die wir unbedingt hören müssen, weil sie Questlove inspiriert hat und sie schon beim "Nur-Lesen" groovt. Und dann ist da noch diese eine Folge der "Bill-Cosby-Show", in der Stevie Wonder demonstriert, wie man sampelt und was man mit einem Keyboard alles machen kann. Das, so Questlove, war "the single most influential moment in the history of hip-hop”. Schöne, neue und erhellende Erkenntnis. 

Donnerstag, 25. Juli 2013

Brillen aus Vinyl


Quelle: vinylize.com

Save the Vinyl. Das war ein Anfang der 90er Jahre propagiertes Motto, das - zum Glück - so erfolgreich befolgt wurde, dass heutzutage wieder Platten in ganz großen Stil gepresst werden. Seit 2006 nimmt der Verkauf von Schallplatten in Deutschland wieder kräftig zu, im vergangenen Jahr wurden erstmals wieder eine Million LPs verkauft - ein Plus von mehr als 36 Prozent gegenüber 2011. Die Schallplatte ist inzwischen 125 Jahre alt und erfreut sich dank dieses Retro-Booms großer Beliebtheit. Und nicht nur, dass uns das Knistern des Vinyls unter dem Tonarm Tag für Tag erfreut, nein, Überlegungen zur Wiederverwertung von Vinyl haben findige Geschäftsmänner auf eine besonders geschmeidige Idee gebracht: Brillen aus Vinyl!



Quelle: tipton.hu


Die Firma Tipton aus Budapest, Ungarn, hat sogar eine Cinematique Collection herausgebracht, in deren Bügel alte Filmstreifen eingebaut wurden. Das Material stammt aus alten ungarischen Filmen oder vom Flohmarkt. In Deutschland sind diese stylischen Modelle leider bisher nur in wenigen Läden zu bekommen, online kann man aber natürlich auch ordern - allerdings würde man für das Geld auch eine Menge begehrter Platten bekommen, denn 300 Euro muss man für die umwerfenden Unikate mindestens hinblättern.

Mittwoch, 24. Juli 2013

Syl Johnson Doku geplant

Quelle: kickstarter.com
    Er hätte so erfolgreich wie James Brown oder Al Green sein können. Die passende Stimme und die nötige Ausstrahlung hatte er. Leider blieb dem Soul-Sänger Syl Johnson die verdiente Aufmerksamkeit verwehrt. Zumindest damals, Mitte der Sechziger bis Mitte der Siebziger. Samplefreudigen Rap-Produzenten und gut informierten Musikenthusiasten ist es zu verdanken, dass Syl Johnson seit ein paar Jahren wenigstens einem kleinen Kreis von Soul-Liebhabern bekannt ist. Das äußerst umtriebige, geniale Label Numero Group hat uns vor ein paar Jahren mit einer liebevoll aufbereiteten Syl Johnson-Box erfreut, die für jeden Liebhaber knackiger Bläsersätze, knochentrockener Schlagzeug-Beats und seelenschweren Gesangs unbedingt empfehlenswert ist. 
    Jetzt geht die Wiederbelebung Syl Johnsons in die nächste Runde: Filmemacher Robert Hatch-Miller will die unglaubliche Geschichte des bald 80 jährigen Soulsängers in einer Dokumentation erzählen, benötigt dafür aber aktuell noch knapp 20.000$. Die ersten geführten Interviews lassen einiges erwarten. Ein Projekt, das uns Soul Brothas und Soul Sistas Unterstützung wert sein sollte. Dig it.

"Fruitvale Station" - der Film zum Tod von Trayvon Martin

Quelle: http://www.impawards.com
Das Sundance Filmfestival von Robert Redford gilt als Kino-Karrieresprungbrett, als beeindruckende Talentshow und als weltweit wichtigstes unabhängiges Filmfestival. Jim Jarmusch und Quentin Tarantino haben in den Bergen von Utah ihre ersten filmischen Visitenkarten abgegeben. Und Überraschungshits und Publikumslieblinge wie "Juno", "Little Miss Sunshine" oder "500 Days of Summer" haben dort ihre Premiere gefeiert. In diesem Jahr hat der Film "Fruitvale Station" in Sundance für Aufsehen gesorgt und gleich zwei Preise gewonnen. Er hat erschreckende Parallelen zum Fall des ermordeten Afroamerikaners Trayvon Martin, wie Hannes Stein in einem interessanten Artikel in der Welt schreibt: "Dieser Film, das ist jetzt schon klar, wird in Amerika für Diskussionen sorgen. Seine Wirkung bezieht er aus dem Umstand, dass er gerade nicht anklagt, sondern nur klagt. (So wie die Demonstranten auf dem Times Square und andernorts im Grunde nicht angeklagt, sondern geklagt haben.) Er könnte die Debatte in Amerika verändern."

Auch Spike Lee, Jamie Foxx und LeBron James sind begeistert
Quelle: Facebook-Seite von Fruitvale Station
Regie geführt hat der gerade einmal 27 Jahre junge Ryan Coogler, der mit seinem Spielfilmdebüt nicht nur beim Sundance Festival, sondern auch in Cannes in der wichtigen Nebenreihe "Un Certain Regard" den Avenir-Preis gewonnen hat. Leider gibt es noch keinen deutschen Starttermin (und wird es erwartungsgemäß auch in den nächsten Wochen nicht geben), der Trailer allerdings hinterlässt bereits einen bleibenden Eindruck.